WIE GEHT
NULL?

 Das DREI x NULL-Forschungsteam,  bestehend aus Expert:innen für ökologisches Bauen, erforscht, ob die Erreichung der Klimaneutralität in allen drei Phasen — Errichtung, Betrieb und Rückbau — möglich ist. Bisher lag der Fokus der Baubranche hauptsächlich auf dem klimaneutralen Betrieb. Die Herausforderung, alle drei Phasen zu integrieren, blieb meistens ungelöst. Die Architekturbüros einszueins architektur und MAGK Architekten haben sich dieser Aufgabe gestellt. Sie werden wissenschaftlich vom Institute of Building Research & Innovation (IBR&I) unterstützt. Im folgenden Interview mit den IBR&I-Forscher:innen Renate Hammer und Peter Holzer erklären sie, wie das Konzept DREI × NULL funktioniert.

Es geht um weit mehr als CO2 freies Bauen

Wie können die drei Phasen, Errichtung (A), Betrieb (B) und Rückbau (C) klimaneutral gestaltet werden?

Renate Hammer: Zu Beginn des Projektes haben wir intensiv diskutiert, was klimaneutral bedeutet – und es ist ganz klar: Null Emissionen. Bei der Phase A – sie betrifft die Herstellung und Errichtung – werden Baumaterialien produziert und zur Baustelle transportiert, wo sie eingebaut werden. Man muss betrachten, wie viel Energie in die Herstellung der Baustoffe fließt und ob es Möglichkeiten gibt, Baustoffe als Speicher von Treibhausgasen zu nutzen. Eine Möglichkeit ist die Verwendung nachwachsender Rohstoffe, die während ihres Wachstums CO2 in Form von Kohlenstoff binden. Wenn ich genauso viel Speicher habe, wie ich Emissionen in dieser Phase erzeuge, erreiche ich das Ziel Netto-Null. Wir sollten also viele Baustoffe verwenden, die bereits CO2 gebunden haben wie Holz oder Stroh, sowie Materialien, die bei der Herstellung wenig Energie benötigen, wie zum Beispiel Lehm.

Peter Holzer: Die Phase B bilanziert die Emissionen aus dem Betrieb des Gebäudes. Zum Beispiel aus der Heizung, Kühlung, Lüftung und Bereitstellung von Warmwasser. Aber auch aus dem sonstigen Stromverbrauch und aus der regelmäßigen Pflege und Wartung des Gebäudes. Auch Umbauten und größere Renovierungen fallen in diese Phase B. Eine Voraussetzung, den Gebäudebetrieb klimaneutral zu halten, ist der Einsatz ausschließlich erneuerbarer Energien – oder noch besser: die Eigenproduktion, z. B. von Sonnenstrom. Die Emissionen aus dem Betrieb konnten durch energieeffiziente Gebäude, durch den Abschied fossilen Energieträgern und durch effiziente Gebäudetechnik, wie z. B. Wärmepumpen, schon sehr weit gesenkt werden. Die verbleibenden Restemissionen sind aber zäh. Auch in dieser Phase wird es daher echte Kohlenstoffsenken brauchen.

Renate Hammer: Für den Rückbau (Phase C) sollen Gebäude möglichst lange genutzt werden, um die Phase hinauszuzögern. Dann müssen wir darauf achten, dass Materialien wie Holz nicht verbrannt, sondern wiederverwendet werden, um das gespeicherte CO2 nicht freizusetzen. Techniken wie die Pyrolyse von Baustoffen, bei denen Biokohle anfällt, könnten zukünftig die einfache Verbrennung ersetzen. Außerdem tragen sie dazu bei, den angefallenen Kohlenstoff langfristig, etwa durch den Einsatz als Bodenverbesserer, aus der Atmosphäre zu entfernen.

Welche Besonderheiten zeichnen die drei beispielhaften Wohnbauten aus?

Renate Hammer: Wir arbeiten mit zwei Grundstücken, die als Grayfields bezeichnet werden, weil dort ältere Gebäude stehen. Sie stellen eine reiche Quelle an wiederverwendbaren Materialien dar. Ein weiteres Grundstück ist ein Brownfield, auf dem früher eine Industriehalle stand und das heute wie eine Wiese aussieht. Hier ist es wichtig, den Boden genau auf mögliche Verunreinigungen zu untersuchen. Außerdem überlegen wir uns, was mit dem vorhandenen Boden gemacht werden kann: Wieviel Boden gibt es, muss er ausgetauscht werden, wieviel davon ist versiegelt? Bei den Projekten unterscheidet sich auch der Bedarf an Stellplätzen und Unterbauten, wie Tiefgaragen oder Keller.

 

Welche technischen Innovationen werden verwendet, um die Klimaneutralität in der Errichtung zu gewährleisten?

Renate Hammer: Viele der verwendeten Technologien sind aus experimentellen Projekten bekannt. Jetzt werden sie von Bauträgern eingesetzt, die ihre Gebäude an ihre Kund:innen vermieten. Es sind also Lösungen notwendig, die wartbar und einfach sein müssen. Ein innovativer Ansatz besteht bei den vorgestellten Balkons und Laubengängen: Hier prüfen wir den Reuse von Bestandsbauteilen, um klimaneutral zu sein.

Die Herausforderung besteht für Planer:innen darin, jede Schicht und Verbindung so zu optimieren, dass sie später leicht zerlegt, getauscht, um- oder rückgebaut werden kann.

Peter Holzer: Es ist wichtig, schon bei der Planung vorauszudenken, wie die Instandhaltung und die Reparaturen des Gebäudes ablaufen werden. Ein Grundprinzip der Ökologie ist es, Dinge möglichst lange zu verwenden. In einem Gebäude sind Teile mit sehr unterschiedlichen erwarteten Nutzungsdauern verbaut: Die grundlegende Struktur eines Gebäudes soll 100 Jahre und weit darüber hinaus bestehen. Gebäudetechnische Teile sind nach 15 bis 50 Jahren am Ende ihrer Einsetzbarkeit. Elektronische Bauteile noch viel früher am Ende. Es ist daher sehr wichtig, so zu bauen, dass sich kurzlebige Teile ohne Beschädigung oder Zerstörung der langlebigeren Teile, reparieren oder ersetzen lassen. Vor diesem Hintergrund soll man z. B. auch das „Verstecken“ von Technik hinterfragen.

Renate Hammer: Neben der langen Nutzungsdauer sollen die Gebäude anpassungsfähig sein und auf geänderte Lebensumstände und Wohnformen reagieren können. Eine weitere, zentrale Überlegung ist das zukünftige Klima. Wir untersuchen Szenarien für unterschiedliche Klimabedingungen und diskutieren, wie Gebäude insbesondere in Bezug auf Heiz- und Kühlbedarf darauf reagieren.

Peter Holzer: Zusätzlich zur Anpassungsfähigkeit auf geänderte Rahmenbedingungen müssen nachhaltige Gebäude auch Sicherheit und Robustheit in Notfällen bieten. Mit Wetterextremen müssen wir rechnen. Auch Unterbrechungen der Versorgungsinfrastrukturen für Strom, Wasser, Abwasser bis hin zu Nahrung können passieren. Es ist wichtig, Gebäudekonzepte gedanklich einem Stresstest zu unterziehen: Kann das Gebäude ein Leben unterstützen, wenn gewohnte Versorgungsstrukturen ausfallen? Auch diese Aspekte berücksichtigen wir in DREI x NULL.

Wie beeinflussen die aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen das Ziel, vollkommen klimaneutrale Gebäude zu errichten?

Renate Hammer: Die aktuellen EU-Rechtsvorschriften beeinflussen unser Ziel durchaus positiv. Als Bauträger motiviert es außerdem zu wissen, dass Gebäude finanziell besser bewertet werden, wenn sie ökologisch sind. Dies fördert Kreativität und viele unserer Überlegungen, wie die Umbau- und Rückbaubarkeit, spiegeln sich in Planungshilfen wie den EU-Levels wider.

Peter Holzer: Ja, es gibt gute Richtlinien, Gesetze und Verordnungen, die Sparsamkeit im Umgang mit Ressourcen verlangen. Andererseits gibt es aber auch weiterhin übertriebene Anforderungen, die der Sparsamkeit entgegenstehen, zum Beispiel in der Gebäudetechnik. Dort müssen beispielsweise Heizungen so ausgelegt werden, dass am nahezu kältest denkbaren Tag, ohne Sonne, ohne Abwärme von Bewohner:innen, aber bei laufender Lüftung, die definierte Innentemperatur von 20 oder 22 Grad Celsius ohne jeden Abstrich eingehalten wird. Das ist Ressourcen- und Geldverschwendung. Einige Normen bieten die Möglichkeit, eigenverantwortlicher alternativer Dimensionierungen. Dennoch besteht hier Handlungsbedarf.

 

Wie sieht die konkrete Zusammenarbeit mit den Bauträgern und Planern aus?

Renate Hammer: Unsere Rolle ist, ein vernetztes Konzept beizusteuern, mit dem Leitziel DREI × NULL = NULL, jedoch unter Berücksichtigung weiterer wichtiger Aspekte wie Biodiversität. Wir hinterfragen den Ursprung und die Produktion nachwachsender Rohstoffe und deren Einfluss auf die Gebäude.

Peter Holzer: Die beteiligten Bauträger in DREI x NULL sind extrem engagiert und offen für Neues. Natürlich bringen sie das kritische Hinterfragen vor dem Hintergrund von Alltagstauglichkeit, Beständigkeit und Finanzierbarkeit aller Ideen mit ein. Als Forscher:innen liefern wir belastbare Entscheidungsgrundlagen. Aus diesem Zusammenhang entstehen mutige und gleichzeitig real umsetzbare Lösungen.

Renate Hammer: Wir möchten gezielt Greenwashing verhindern und hinterfragen kritisch die Lösungen, auch hinsichtlich ihrer Langzeitwirkungen und die CO2-Bilanz. Unser Projekt muss sich den Herausforderungen des Klimaschutzes, der Klimawandelanpassung, der Kreislaufwirtschaft und der neun planetaren Belastungsgrenzen stellen, wie etwa Süßwasserverbrauch und atmosphärische Verschmutzung durch Staub oder chemische Substanzen.

Wie wird der Erfolg dieses Projektes gemessen?

Renate Hammer: Der Erfolg unseres Projekts wird mit einem Living Diagram, das eine Atmosphärenbilanz visualisiert, gemessen. Es zeigt auf, wann und wie Emissionen entstehen oder CO2 gesenkt wird. Die Emissionen der Errichtungsphase müssen sofort neutralisiert werden, da ihre Auswirkungen unmittelbar und in Hinsicht auf die Entwicklung unseres Klimas zeitkritisch sind; unser Ziel ist hier tatsächliche Klimaneutralität. Im Betrieb zielen wir ebenfalls auf Klimaneutralität ab, unterstützt durch zunehmend saubere Energie aus dem Netz.

 

Gibt es Pläne, wie diese nachhaltigen Bauweisen in weiteren Projekten oder auf größere Skalen angewendet werden können?

Renate Hammer: Die meisten sagen, es sei unmöglich, ein Gebäude vollständig klimaneutral zu bauen. Wenn es uns jedoch gelingt, einem solchen Ziel nahezukommen, setzen wir wichtige Veränderungen in Gang. Deshalb ist es entscheidend, unsere Erfahrungen breit zu kommunizieren, wenn wir erfolgreich sind. Der Weg zu Klimaneutralität ist nicht universell, sondern projektspezifisch. Jedes Projekt sollte unter Berücksichtigung der regionalen Gegebenheiten entwickelt werden, denn was an einem Ort funktioniert, muss nicht zwangsläufig an einem anderen passen.

Welche zentrale Maßnahme hat den größten Einfluss auf klimaneutrales Bauen?

Renate Hammer: Eine zentrale Maßnahme für klimaneutrales Bauen ist die Nutzung lokaler Ressourcen. Wenn man beispielsweise auf einer Tongrube sitzt, sollte man Ton verwenden. In der Nähe eines Waldes mit Birkenkäferbefall bietet es sich an, mit vorhandenem Kalamitätsholz zu bauen. Ist hochwertiges Holz regional vorhanden, wäre der Holzskelettbau eine überlegenswerte Konstruktionsweise.

Peter Holzer: Einen wesentlichen Anteil an den Treibhausgasemissionen eines neu errichteten Gebäudes haben Fundamente und Tiefbaustrukturen. Das reicht bis zur Hälfte der gesamten Emissionen der Errichtungsphase. Die Haustechnik trägt mit weiteren ca. 25 Prozent der Emissionen bei, was beträchtlich ist, besonders angesichts ihrer kurzen Lebensdauer.

 

Was sind Eure persönlichen Herausforderungen bei diesem Projekt?

Renate Hammer: In diesem Projekt stelle ich mir eine Welt vor, in der Null-Emissionen realisierbar sind. Es gibt mir Hoffnung und eröffnet neue Wege in einer Welt, die nachhaltige Lösungen dringend benötigt. Dieses Vorhaben fordert uns heraus, traditionelle Denkmuster zu hinterfragen und vieles von der Architektur über die Planung bis zum Zusammenleben neu zu denken.

Peter Holzer: Für mich besteht die Herausforderung darin, trotz aller Komplexität der Fragestellungen, klare Handlungsempfehlungen zu entwickeln, nichts unzulässig zu banalisieren, aber dennoch auf den Punkt zu kommen. Das ist anspruchsvoll, aber auch faszinierend und letztendlich beglückend, weil daraus richtungsweisend ökologische Gebäude entstehen.

 Renate Hammer und Peter Holzer  gründeten das Institute of Building Research & Innovation ZT GmbH. Es widmet sich der Erforschung und Lösung des kritischen Spannungsfeldes zwischen menschlichen Bedürfnissen und den natürlichen Grenzen, um nachhaltige Entwicklungsstrategien zu fördern. Das Institut schafft Wissen für eine zukunftsfähige Gestaltung unserer Umwelt.